Stop the stigma

Unter dem Titel „A Person Is Not Their Diagnosis“ hat Einmal Kunst, bitte! eine online Posterkampagne entwickelt.

Menschen mit psychischen Krisenerfahrungen sind doppelt betroffen: sie erleben einerseits belastende Phänomene wie Stimmenhören, Angst und Traurigkeit, hinzu kommt jedoch noch eine weitere Belastung: die Etikettierung als „psychisch krank“. Damit konfrontiert zu sein, kann eine Kaskade von Folgen nach sich ziehen. Der Psychiater und Psychotherapeut Nicolas Rüsch sagt, Stigma als die sekundäre Erkrankung ist für Betroffene meist schwerwiegender ist als ihre eigentliche Erkrankung.

Stigma findet sich auf drei Ebenen:

  • als stigmatisierendes Merkmal, das mir als Person angeheftet wird,
  • dessen Folgen über Vorurteile bis hin zur öffentlichen und/oder strukturellen Diskriminierung
  • und Selbststigma, bei dem ich beginne, die auf mich gerichteten Vorurteile anzunehmen und zu verinnerlichen.

Wenn ich als Arzt „den Schizophrenen“ behandle, werde ich anders mit ihm umgehen (und er mit mir), als wenn ich mich Herrn Maier zuwende, der einen Beruf hat, Kinder, einen Hund und eine Schizophrenie.

Nicolas Rüsch

Es macht einen Unterschied, wie Krankheit wahrgenommen wird: kein Mensch ist seine Erkrankung („der Schizophrene“, „der psychisch Kranke“) – eine Erkrankung ist immer nur ein Teilaspekt unter vielen, die uns als Persönlichkeit ausmachen. Die Recovery-Bewegung kritisiert, dass Stigmatisierung auch darin besteht, das Paradigma der schweren psychiatrischen Erkrankungen als unbeeinflussbar und unheilbar aufrecht zu erhalten. 

„A PERSON IS NOT THEIR DIAGNOSIS“ – ANTISTIGMA-POSTERKAMPAGNE Motiv No. 1 Illustration: Anne Lück
Das Konzept von Recovery

Recovery kann zwar mit „Wiederherstellung“ übersetzt werden, es geht dabei jedoch nicht darum, das alte Leben – wie es vor der Erkrankung einmal war – zurück zu gewinnen. Vielmehr zielt Recovery darauf ab, Krisen und Brüche im Lebensweg anzunehmen, daran zu wachsen und den kraftraubenden Weg der Genesung als Lebensleistung zu würdigen.

Voraussetzung dafür ist, eine psychische Krise nicht als individuelle Fehlleistung zu werten, sondern als natürliche Reaktion auf besonders belastende Lebensumstände anzuerkennen, die Teil der menschlichen Erfahrungswelt sind.

Genau diesen Aspekt wollen wir in unserer Posterserie aufgreifen: „A Person Is Not Their Diagnosis“ – kein Mensch ist eine Diagnose, denn es gibt viel wichtigere Eigenschaften und Errungenschaften, die uns ausmachen.

STOP THE STIGMA!

Literatur:

Amering, M., & Schmolke, M. (2012). Recovery. Das Ende der Unheilbarkeit (5., überarbeitete Auflage ed.). Bonn: Psychiatrie Verlag.

Hur, Y.-J., Park, J.-H., & Rhee, M. (2021). Relationship between Competency to Consent to Treatment and Psychological Well-Being: Mediating Effect of Empowerment and Emotion. International journal of environmental research and public health, 18 (15).

Rüsch, N. (2021). Das Stigma psychischer Erkrankung. München: Elsevier.

Zuaboni, G., Burr, C., Winter, A., & Schulz, M. H. (2019). Recovery und psychische Gesundheit. Grundlagen und Praxisprojekte. Köln: Psychiatrie Verlag.

Text + Gestaltung: Anne Lück
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Einmal Kunst, bitte! ist eine Onlineplattform rund um Kunst und seelische Gesundheit. Sie richtet sich sowohl an Potsdamer Künstler:innen mit Krisenerfahrung als auch an interessierte Potsdamer:innen, die mehr über das Potenzial von Kunst zur Stärkung seelischer Gesundheit erfahren möchten.